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Maria und Joseph
![]() Vater Staat: Eine Plakataktion der Bundesregierung wirbt für die Familie ![]() Von Beate Clausnitzer ![]() Wo sonst der Schuh für jedermann, das Eis des Jahres, die Quelle, aus der die Welt trinkt, als Übermächte in Erscheinung treten, breitet sich seit ein paar Wochen eine ganz andere Materie aus, jedoch nicht minder absolut: "Familie Deutschland" heißt es auf Plakaten und in Anzeigen. Groß rollt eine so genannte Kampagne der Bundesregierung übers Land, die der einstigen SED-Propaganda verblüffend ähnlich ist. Die rot-weißen Lettern "Familie Deutschland" erinnern deutlich an die roten Banner des Sozialismus mit ihrem weißen Schriftzug: "DDR - unser Vaterland". Genauer betrachtet, entpuppt sich die Kampagne sogar als Fortwirkung eines Geistes, der noch hinter die DDR und weiter zurückreicht. Denn nicht nur in den Farben der DDR gibt dieser sich zu erkennen, seine Ikonografie hat eine längere Tradition: So trägt "Familie Deutschland" mütterlicherseits das Rot zum Blau der heiligen Familie, auf dass sie uns als Maria erscheine, die nun, gegossen in ein blaues Sofa wie in einen Mantel, ins Wohnzimmer Einzug hält. Hierin soll das Volk sich selbst - und will der Staat das Volk erkennen. Und sieht zum Beispiel eine Frau, die eher bedrohlich als begehrlich, eher gewaltig als gütig ein Plakat ausfüllt, als hätte sie mit diesem eingenommenen Platz etwas gewonnen; als wäre die Preisgabe ihrer Schwangerschaft an die Öffentlichkeit ein Triumph. Als wäre der Vater das vorweggenommene Kind, lässt sie den Mann hierzu zwischen ihren Schenkeln ruhen und gibt so auch ihn, dem sie den Nacken krault, am ausgestreckten Arm dem öffentlichen Zugriff preis. Was einst seine Sache war, übernimmt Vater Staat. Herrschten die Väter in den Vorzeiten als eigenmächtige Tyrannen, so existieren sie seit dem biblischen Joseph eher als Stellvertreter einer höheren Instanz: Der Vater wird ersetzt durch Gottvater und schließlich Vater Staat. "Familien", so heißt es in der zur Kampagne gehörenden Broschüre, "brauchen den Staat an ihrer Seite", keinen Mann. Und was "der Wunsch aller Eltern" und traditionell ebenfalls Vaterfunktion war: dem Sohn, der Tochter eine Weltanschauung zu vermitteln - das "vermittelt und fördert" der Staat durch sein "umfassendes Betreuungs- und Bildungsangebot". So umfassend kennt man das aus der DDR: "Ganztagsbetreuung von Kindern", "Tageseinrichtungen wie Krippe, Kindergarten und Hort", "betriebliche Kinderbetreuung" könnte das Vokabular aus dem Abschnitt "Sozialpolitische Maßnahmen" eines SED-Parteitagsprogrammes sein. Tatsächlich heißen solche Regulierungsversuche jetzt "familienpolitische Maßnahmen" und stammen aus der Bundesregierungsbroschüre. Wie einst der ostdeutsche Staat hoffte und es als seine "politische Hauptaufgabe" ansah, "die materiellen Bedürfnisse der Menschen immer besser zu befriedigen" - hofft, nein, ist sich Gerhard Schröder im Vorwort der Broschüre gewiss, dass sich dank seiner Politik die "materielle Situation der Familien deutlich verbessert". Wenn man früher schon gemerkt hat, dass dies ohne Nachwuchs und weibliche Arbeitskraft nicht zu schaffen ist und sich deshalb die DDR von Anfang an dazu entschloss, die "Gleichberechtigung" einzuführen, so zieht der Westen mit "Chancengleichheit" nach und stolpert doch wie der Osten über Probleme, die er als "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" unter einen Hut bekommen muss. Dies misslingt ihm ebenso wie dem Osten. Mit Kindern in "Ganztagseinrichtungen" werden Probleme nur verschoben. Es ist schwer auszuhalten, dass diese Probleme bestehen bleiben, weil Familien- und Berufsinteressen im Widerspruch zu einander stehen. Dagegen ist es leichter, die "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" gegen das Kind-oder-Karriere-Klischee auszuspielen. Das aber kann die Spannungen nicht lösen in einem Machtkampf, bei dem es, wie der Literaturwissenschaftler Albrecht Koschorke in seinem Buch Die Heilige Familie und ihre Folgen (S. Fischer Verlag) schreibt, seit Maria und Joseph noch immer um den Konflikt zwischen Familiengewalt und der Gewalt höherer Instanzen geht. Der Staat braucht die Familie, denn ohne Menschen ist kein Staat zu machen. Damit die Familie auch auf den Staat angewiesen ist, agiert der Staat, als würde es umgekehrt ohne ihn keine Familien geben: Moralisch, rechtlich, finanziell nimmt er sich der Familie an und legt damit überhaupt erst fest, was als Familie in seinem Sinn zu gelten hat. Symbolisch war unter Gottvater die heilige Familie so strukturiert, dass sie "auf Gott hin" ihre Funktion erfüllte: Aus Gottes heiligem Wort ließ sie Fleisch werden. Der ostdeutsche Staat strukturierte Familie so, dass sie nach seiner Ideologie von der Familie als "kleinster Zelle der Gesellschaft" Wirklichkeit wurde. Heute sind die laut Regierungskampagne "ganz normalen Familien" den einstmals "kleinsten Zellen" schon deshalb ähnlich, weil sie wie diese als Teile eines größeren Ganzen, als "Familie Deutschland", gelten. Als Schöpferin von Fotoserien wie Spuren der Macht und Starke Frauen hat sich die Fotografin Herlinde Koelbl bewährt. Nun soll sie uns an den großen Schauplätzen der Produkt- und Warenwelt die Produktion "Familie Deutschland" zeigen. Und hier, vor dem Hintergrund des Kapitals schlechthin, sind alle gleich: Neben der "Schwangeren mit Partner" hat Koelbl als Motive der Kampagne eine Familie mit zwei, eine mit vier Kindern, eine "Alleinerziehende mit Kind", ein "Paar unterschiedlicher ethnischer Herkunft mit Kind", "Eltern mit behindertem Kind", "Großeltern mit Enkeln", "drei Jugendliche" und ein "gleichgeschlechtliches Paar" ausgewählt. Wenn unter dem Label Familie alle laufen, ist die Zielgruppe maximal, die vom Staat profitieren und ihn dabei erhalten soll, die sich reglementieren und dadurch kontrollieren lässt. Das alles kann der Staat, nur eines nicht: sich reproduzieren. Dafür hat sich bisher die Familie als unentbehrlich erwiesen. In der Vorstellung von "Reproduktion" ist jedoch das klassiche Bild der Familie so rationalisiert, fast wegrationalisiert, dass es kaum noch erkennbar ist. Die Bilder zeigen Figuren wie einzelne Schuhe, mal so, mal so gruppiert, vielleicht könnte der eine mit dem anderen ein nützliches Paar ergeben. Auf keinem Bild sind Frauen mit Männern zu sehen, die mehr verbindet als der Zweck, Nachkommen zu erzeugen. Entsexualisierte Väter Dagegen sind die Plakate, weil sie das Individuelle, Besondere als Normalität behaupten, Varianten für den Verlust von Differenz. Männer verschwinden hinter Söhnen, lösen sich zwischen Kindern auf zu guten Jungen oder werden an den Rand gedrängt von ihrer schwangeren Frau. Die darf zwar den größten Platz einnehmen, merkt aber nicht, dass der Triumph hierüber gar nicht ihr eigener ist. Denn mit der Preisgabe ihrer Schwangerschaft an die Öffentlichkeit gibt sie auch ihre Weiblichkeit preis; indem sie den Mann zu ihren Füßen klein hält, verliert auch sie ihre Geschlechtlichkeit. Sie ist präsent als Mutter, dabei entsexualisiert wie der Vater. Als ab Mitte der sechziger Jahre in der DDR die Geburtenraten sanken und sachlich registriert wurde, dass "für die einfache Reproduktion die zur Zeit geborenen Kinder noch zu wenig" wären, setzte der Staat unter Schöpfung des Wortungetüms "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" ein Programm in Gang, auf dass Frauen zu Muttis würden und den Staat erhielten. Heute, da wieder die Geburtenraten sinken, soll das Schröder-Wort "nachhaltige Politik" Wunder wirken - und die Muttis wiederkehren lassen. Sie kommen, sie sind schon überall zu sehen. In der jungfräulichen, geschlechtslosen Maria wird Schröders Wort Fleisch, auf dass es, nein: dass er unsterblich werde. » DRUCKVERSION » ARTIKEL VERSENDEN
(c) DIE ZEIT 08/2002
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